Kunst | Traditional Colors of Japan – ein Überblick

Die sogenannten, traditionellen Farben Japans haben seit dem Altertum eine überliefernde Bedeutung, welche noch heute unterschwellig, aber fest im Alltag zu finden ist. Besondere Lebensumstände in der Geschichte des Inselvolks, wie die Ordnung der Stände am kaiserlichen Hof sowie die über 200 Jahre andauernde Isolation des Landes, haben ein detailliertes Farbsystem, ein tiefes Farbverständnis und eine besondere Raffinesse in der Herstellung von Farbnuancen hervorgebracht. Wie komplex die Geschichte der japanischen, traditionellen Farben ist, möchte ich euch in diesem Artikel erzählen.

Vorwort | Farbe aus japanischer Sicht

Bekannte Farbsysteme, wie das von Wilhelm Ostwald oder von Albert Henry Munsell, werden zwar weltweit genutzt, um Farben einheitlich zu definieren, dennoch hat jedes Land seinen eigenen Bezug zum Thema Farbe. Wer die japanische Kultur kennt, weiß von der Detailverliebtheit des dortigen Kunsthandwerks und von der Komplexität der Verbindung aus Tradition und Moderne. Laut dem berühmten, japanischen Designer Kenya Hara ist Farbe nicht nur ein Wert in einem bestehenden Farbsystem, sondern auch Träger von Empfindungen und somit eine Art Gesamtphänomen. Das Wahrnehmen der Materialität spielt dabei ebenso wie der Geschmack und der Geruch, der mit einer Farbe verknüpft wird, eine tragende Rolle. Erinnerungen und Stimmungen sind auch heutzutage noch fest mit bestimmten Farbtönen verknüpft, welche sich an den Jahreszeiten orientieren und das Leben in Japan prägen. Die über 400 traditionellen, japanischen Farben sind laut Hara somit kein wissenschaftliches Farbsystem an sich, sondern ein Abbild der japanischen Kultur.

Ich persönlich finde, dass diese Auffassung jedoch nicht nur romantisch ist, sondern leider auch zu einem Minenfeld für Nicht-Japaner wird, sofern man sich in der Bedeutung der Farben für einen Japaner nicht sehr gut auskennt: Zum Beispiel wollte ich schon immer einen schwarzen Kimono tragen, da Schwarz einer meiner Lieblingsfarben ist. Möchte ich mich aber an die kulturelle Sitte halten, so wäre ich noch viel zu jung für die Farbe Schwarz. Noch schwieriger ist es mit einem weißen Kimono, der entweder für den schönsten Tag im Leben - die Hochzeit - oder für einen der Dunkelsten - eine Beerdigung - steht. Hier liegt der Teufel im Detail, besser gesagt in der Farbe des Obis (dt. Kimono-Gürtel), der hier den Unterschied mit unter unterstreicht. Die Beispiele zeigen außerdem, dass die im Alltag verankerten Farbcodes keine Erfindung der heutigen Gesellschaft sind, sondern dass sie auf wichtigen Ereignissen in der Historie Japans basieren.

Fotos von Mike Zawar

Geschichtliches | Vom Hof ins Volk

Die ersten Aufzeichnungen über das Thema Farbe in Japan liegen im 7. Jahrhundert, in der Asuka-Zeit. Laut dem Nihon Shoki 日本書紀 (dt. Chronik Japans in einzelnen Schriften), wurden unter der Herrschaft von Kaiserin Suiko im Jahr 603 das Twelve Level Cap and Rank System eingeführt. Dieses hierarchische System, zeigte durch die Farbe der Kopfbedeckung den Stand der Mitglieder am Hof an. Insgesamt gab es sechs Farben. Davon betitelte Lila den höchsten Stand und Schwarz den niedrigsten Stand.

Das Twelve Level Cap and Rank System eingeführt von Kaiserin Suiko

Bild: Wikipedia

Später ging man dazu über den Machtstatus über die Farbe des Gewands auszudrücken. So wie royales Blau in England zeigte ein tiefes Lila das Oberste bzw. Heiligste an. Im Gegensatz zu den Aristokraten in anderen Ländern hatte der japanische Hof nie Interesse an kostbaren Metallen oder Edelsteinen als Symbol für Macht. Stattdessen waren es Farben, die sie aussuchten, um den Rang und die Autorität eines Mitglieds darzustellen. Die Untertanen eines Herrschers hatten sich an Regeln für sogenannte verbotene Farben (ja. kinjiki 禁色) zu halten, welche nur für die höchsten Ränge am Hof reserviert waren und für zugelassene Farben (jap. yurushiiro 許し色), welche das Volk benutzen durfte.

Die zwei bedeutendsten Farben waren gelbliches Braun für den Kaiser und Orange für den Kronprinzen. Diese Farbbedeutungen wurden im Jahr 718 festgelegt.

Vor dem 8. Jahrhundert zeugen leider nur ein paar archäologische Funde, aber keinerlei schriftliche Aussagen von der Bedeutung der Farben. Erst ab dem 8. Jahrhundert werden das erste Mal in der japanischen Geschichte vier Basis-Farbbegriffe und deren Bedeutung überliefert:

Aka 赤, kuro 黒, shiro 白und ao 青.

Rot, Schwarz, Weiß und Blau.

Die damaligen Farbbegriffe ähneln nicht ganz den Farbbedeutungen in der heutigen Zeit. Im alten Japan gab es sogar noch mehr Doppeldeutigkeit in der Wahrnehmung von Farbe. Was heute als ao, also für blau steht, hatte im alten Japan eine noch tiefere, metaphorische Bedeutung, die über die der bloßen Farbe und einer simplen Bedeutung hinausgeht. Japanische Philologen vermuten, dass es sich bei gegensätzlichen Farbpaaren zudem nicht um die Farbpaare selbst handelt, sondern eher um Paare kontrastierender optischer Empfindungen.

Aka 赤 stand für ein helles, vitales Erscheinungsbild.

Kuro 黒 stand für ein dunkles Erscheinungsbild ohne Licht.

Shiro 白 stand für ein außergewöhnliches Strahlen.

Ao 青 stand für einen Eindruck von Uneindeutigkeit.

Nisshōki, die japanische Flagge
Nisshōki, die japanische Flagge

Diese noch facettenreichere Doppeldeutigkeit hat mich anfangs ziemlich verwirrt. Deshalb möchte ich sie anhand eines weiteren Beispiels noch einmal aufzeigen: Die japanische Nationalflagge, welche einen roten Kreis auf weißem Hintergrund zeigt, bedient sich ebenso der alten Bedeutungsvielfalt und ist damit noch facettenreicher, als zunächst gedacht.

Den Meisten ist sicherlich bekannt, dass der Kreis für die Sonne steht, aber auch die Farbe spielt dabei eine wichtige Rolle. Der Entwurf der Flagge stammt eigentlich aus dem Jahr 1854 und aka wird zwar mit rot übersetzt, steht aber in diesem Fall für das helle, strahlende Licht der Sonne, was, wie oben beschrieben, auch für ein vitales Erscheinungsbild seht. Dieses Beispiel hat mir geholfen, die Mehrdeutigkeit von den alten japanischen Farben noch besser zu verstehen.

Im 10./11. Jahrhundert kam ein Farbverständnis auf, welches eine detaillierte Leidenschaft für den Wechsel der Jahreszeiten und einen emotionalen Bezug zur Pflanzen- und Blumenwelt zeigt. Während der Heian-Zeit (794–1185), Japans goldener Zeit, wurden die besonders eleganten Farbnamen und Farbkombinationen entwickelt, so wie sie im heutigen Katalog traditioneller Farben aufgelistet werden. Die Farbnamen wurden inspiriert von Japans Flora und Fauna. Sie bestanden aus Pigmenten, Mineralien oder auch aus Gemüse-Suden. Der Beruf des Färbers war im mittelalterlichen Japan ein normaler Beruf, im Gegensatz zu Europa. Durch das Christentum in Europa war es Gottes widrig, Einfluss auf die natürliche Ordnung zu nehmen und Farben zu mischen. Da Japan aber vom Buddhismus und vom Shintoismus geprägt wurde, war das Entwickeln von Farbmischungen keine frevelhafte Tat. So konnten japanische Färber eine Vielzahl von Farbnuancen durch das Überfärben von Stoffen kreieren. Dennoch erfanden die Japaner weder die Komplementärfarben, noch die Regeln des Farbmischens. Diese wurden zuvor von den Europäern entwickelt. 

Mood-Collage über die japanische Farbe Aka, Ake oder auch Scarlet

l & r:  Fotos von Mike Zawar

m: Court dresses by Kokushi Daijiten

Indigo Color Ai Iro eine traditionell japanische Farbe

Während der Edo-Zeit 江戸時代 (1603 bis 1868) erreichten die traditionellen Künste ihre Blütezeit. Dies war vor allem durch die über 200 jährige Abschottung Japans von der Außenwelt und den herrschenden Frieden innerhalb des Landes möglich. Durch das strenge Regime des Tokugawa-Shogunats war der Kontakt mit der Außenwelt reduziert. In dieser Zeit entwickelte sich jedoch eine neue Händler- und Künstlerklasse, welche vor allem in den großen Städten lebte. So fing die Bevölkerung einzelner Regionen an, ihre ganz eigenen, individuellen Produkte zu erfinden. Ermuntert wurden sie dabei durch die adligen Herrscher. Eine Gegend in Shikoku wurde zu einer der Hauptproduktionsorte für Ai-iro 藍色, also Indigo-Farbe. So deckte die Region zeitweise 90% des japanischen Marktes für diese Farbe ab. Das Indigo-Färbemittel aus Shikoku entwickelte sich zu einer nationalen Marke und die Koya 紺屋 (dt. Indigo-Färber) wurden so bekannt, dass sie zu den Werbeträgern der ganzen Färber-Branche wurden. Es gibt ein Sprichwort, dass den Ansturm an die damaligen Indigo-Färber sehr gut wieder spiegelt: 

„Der Indigo-Färber trägt Weiß.“

„紺屋の白袴”

Das bedeutet, dass die Nachfrage an Indigo so groß war, dass die Färber selbst nicht zum Färben ihrer eigenen Kleidung gekommen sind. Indigo, oder auch Navy-Blau zählt bis heute zu einer der wichtigsten Farben Japans.

Mood-Collage über die japanische Farbe Ai oder auch Indigo

Des Weiteren kam es am Hof der Edo-Zeit in Mode, Farben nach den Jahreszeiten zu tragen. Die Kimonos von den dortigen Hofdamen orientierten sich an den naturgegeben Farben, wie zum Beispiel an dem zarten Rosa der Kirschblüte im Frühling.

Allerdings waren die repräsentativsten Farbe des Zeitalters weder rosa noch blau, sondern es waren Braun- und Grautöne. Braun wurde mitunter von den Kabuki-Spielern, welche als Idole des Volkes bezeichnet wurden, getragen. Braun und Grau waren die Farben des Volkes selbst. Durch diese farbliche Einschränkung inspiriert, wurden außerdem eine Vielfalt an grauen und braunen Farbschattierungen durch die Färber entwickelt, welche wieder die Kreativität der Japaner unterstreicht, aus der Not eine Tugend zu machen.

Bild-Auszug: Seduction: Japan's Floating World - The John C. Weber Collection von  Laura W. Allen

In der Meji-Zeit, welche von 1868 bis 1912 ging, wurde durch den Handel mit anderen Ländern ein Austausch von neuen Gütern möglich. Unter anderem wurden chemische Pigmente ins Land eingeführt. Durch die neuen Möglichkeiten wurden in Japan wieder neue Farbnuancen geschaffen und inspiriert.

Auch wenn in der Moderne zudem starke und knallige Farben Einlass in die Kultur fanden, spielen traditionelle Farben trotzdem weiterhin eine tragende Rolle. In der heutigen Zeit sind sie nicht nur ein geschichtliches Gut, sondern auch ein tiefverwurzeltes Erbe, mit welchem sich die meisten Japaner wie selbstverständlich verbunden fühlen.

Wie ihr nun erfahren habt, sind die traditionellen japanischen Farben ein komplexes Thema, welches sich überall durch die japanische Geschichte zieht. Sie sind nicht nur eine bloße Zusammensetzung von Pigmenten, sondern übermitteln als Träger von japanischem Kulturgut tiefverwurzelte Emotionen und stellen die (jahrhundertealte) Naturverbundenheit Japans dar.

Leider habe ich nichts über das Thema Farbe in der Zeit zwischen der Heijan- und Edo-Periode gefunden. Es würde mich wirklich interessieren, wie oder ob sich das Farbverständnis in der Zeit (weiter-)entwickelt hat. Wer also was weiß, kann sich mit seiner Quelle sehr gerne bei mir melden.  :)

Im kommenden Artikel möchte ich euch noch näher von einigen traditionellen Farben und dessen Bedeutung im Detail erzählen.

Vielen Dank fürs Lesen!

 

Eure Floratcha

 

 

 

Meine Quellen waren unter anderem folgende Werke...

Weiss von Kenya Hara

The Colors of Japan von Sadao Hibi

Japanese Detail: Architecture von Sadao Hibi

Lob des Schattens von Tanizaki Jun’ichirô

A Dictionary of Color Combinations von Sanzo Wada 

Seduction: Japan's Floating World - The John C. Weber Collection von  Laura W. Allen

https://www.colordic.org/

http://www.studio-mana.com/

Kommentare: 1
  • #1

    Mike (Dienstag, 17 März 2020 21:30)

    Ein wirklich wunderbar geschriebener Artikel �und so informativ. Ab sofort muss ich dich als Texteschreiber meiner Reiseführer anheuern�

    Great Job �